Erlebnisbericht eines Verrückten 2005

Dem modernen Menschen stehen heute eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, die eigenen Grenzen zu erleben und zu erweitern. Vielleicht liegt der Grund für diesen Zeitgeist darin, dass das "normale" Leben zu langweilig ist und zuwenig Abwechslung bietet, vielleicht sehen aber auch viele Menschen die alltäglichen Abenteuer einfach nur nicht. So kann beispielsweise der morgendliche Weg zur Arbeit oder an die Universität eine ganze Menge von abenteuerlichen Begegnungen mit sich bringen, wenn man die nötige Muße dazu aufbringt eben diese wahrzunehmen und nicht nur das nervige Gespräch mit dem Chef oder der Prof. im Kopf herumgeistert. Vielleicht liegt es aber auch daran, das es einfach noch viel zu früh ist und man gar keine Lust hat sich mit irgend etwas auseinanderzusetzen.
Daher ist es viel einfacher, sich am Sonntag ein Gummiband um die Beine wickeln zu lassen um sich gut gesichert in die Tiefe zu stürzen, oder mit seinem Motorrad die Kurven in der Umgebung genau kennenzulernen.
Nachdem ich selbst eine Vielzahl dieser "Sonntagsabenteuer" ausprobierte und ich noch immer auf der Suche bin, erzählte mir mein guter Freund Holger von einer Sache, die sich für mich nach einer wirklichen Herausforderung anhörte.
Einhundert Kilometer wandern in Vierundzwanzig Stunden.
Vor einigen Jahren lief ich begeistert bei einigen Marathonläufen mit und trainierte auch fleißig dafür, so dass sich für mich die Distanz in etwa abzuschätzen war und ich dachte, dass man sich darauf durchaus einlassen konnte. Also, kramte ich meine alten Laufschuhe hervor und verbrachte etliche Stunden damit, meinen inzwischen etwas eingerosteten Körper wieder etwas zu fordern. Bald schon stellten sich erste Erfolge ein und ich entdeckte meine alte Leidenschaft wieder neu.
Der Termin meiner ersten Teilnahme am "Lauf der Verrückten" war gekommen und die Teilnehmer trafen sich in einem Gemeindehaus in Frankfurt, das für das Basislager auserkoren wurde. Zu meiner großen Überraschung mußte ich feststellen, dass sich dort nicht die Schar Menschen versammelten, die ich von diversen Laufveranstaltungen her gewohnt war, sondern Menschen, die gemeinsam eine Große Sache vor sich sahen und was noch viel wichtiger war, die sich den Weg zum Ziel der Veranstaltung machten.
Im Vorfeld erzählte ich einigen Freunden und Bekannten von dieser Veranstaltung und zu welchem Zweck diese Durchgeführt werden sollte. Es ging dabei darum, Geld zu sammeln, um Kindern in Südamerika eine Schulbildung zu sichern. Es fanden sich auch tatsächlich einige, die bereit waren für die von mir zurückgelegten Kilometer zu spenden.
Allerdings muß ich an dieser Stelle eingestehen, dass ich viel zu aufgeregt war um mir viele Gedanken um etwaige Hintergründe zu machen und mir in den Stunden vor dem Start eigentlich nur Gedanken darum machte, wie ich denn wohl aus dieser Geschichte herauskommen werde. Das klingt nicht sehr heroisch, ist aber die Wahrheit.
Die Teilnehmer wurden also zum Startpunkt, der in der näheren Umgebung von Gemünden am Main liegt, gebracht. Dort sprachen wir gemeinsam ein kurzes Gebet, das meine Nerven ein wenig beruhigte und zeitgleich zum Start begann es dann leider zu regnen.
Meine damalige Begleiterin zog es dann vor, sich ihre Regenhose anzuziehen wodurch wir die Gruppe aus den Augen verloren und den Wald für uns allein hatten.
Das Wetter, es wird im Laufe dieses Berichtes nochmals von Bedeutung, verbesserte sich jedoch schnell und wir kamen auch gut voran. An den Verpflegungspunkten gab es keinerlei Schwierigkeiten und sowohl die Müsliriegel, als auch die Butterbrote waren eine willkommene Stärkung.
Nachdem wir also ca. 12 Stunden gemeinsam durch den Wald liefen und all die Themen besprachen, für die im Alltag zu wenig Zeit ist und erfreuliche Begegnungen mit den Bewohnern des Waldes hatten, stellte sich heraus, dass die Wanderlatschen meiner Begleiterin doch nicht das Gelbe vom Ei waren und wir uns zu allem Überfluß so richtig verlaufen hatten. Diese Mischung aus ungünstigen Umständen ließ unsere Motivation stark sinken.
Nachdem wir die Gegend um den Franzosenkopf, Kennern ein Begriff, sehr ausgiebig kennenlernen konnten, beschlossen wir, am nächsten Verpflegungsposten eine längere Rast einzulegen.
Dort angelangt und nach Betrachtung der Füße wurden wir dankenswerter Weise ins Basislager gefahren.
Wenn der geneigte Leser nun denkt, dass ich nach diesem niederschmetterndem Ausgang dieses Abenteuers nie wieder etwas mit diesen Verrückten zu tun haben wollte, so liegt er falsch.
Es dauerte zwei Jahre, bis ich wieder Begleitung fand, dieses mal eine Gruppe von Pfadfindern aus meinem Stamm. Junge, sportliche, leicht verrückte aber leider nicht wetterfeste DPSG`ler!
Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es wohl regnen muß, wenn ich mal spazieren gehen möchte. So auch bei meinem bisher letzten Anlauf, die Strecke zu bewältigen.
Dieses mal goß es in Strömen und wir, d.h. die DPSG`ler trennten sich sowohl von der gesamten Gruppe, als auch untereinander und erreichten getrennt den ersten Verpflegungsposten, an dem wir dann beschlossen, die Sache nicht gemeinsam weiter durchzuziehen.
Wie ich später erfahren mußte, haben es einige von uns auch nicht mehr viel weiter geschafft, weil sie einfach durchnäßt und durchgefroren aufgegeben haben.
Kurz vor Hof Trages ( wird wahrscheinlich anders geschrieben, aber ich habe dieses Wort noch nie bei vollem Bewußtsein gesehen) brach doch tatsächlich mein Begleiter zusammen und sagte mir, dass er in keinem Fall weitergehe. Dies machte mir schon ein wenig Sorge und ich lief ( oh Wunder, wenn es darauf ankommt, gibt es doch noch Reserven) zum nächsten Verpflegungspunkt um Hilfe zu holen, die dann die müden Wanderer auflas und uns nach Ober-Ramstadt ins Basislager brachte.
Ich denke, es dürfte nun klar sein, dass ich eine Art Abenteuer gefunden habe, die mich immer noch oder nach wie vor so anspricht, dass ich in jedem Fall wieder mit dabei sein werde. Es geht dabei nicht um den großen Kick und bestimmt auch nicht um Adrenalin, sondern um die vielen Eindrücke die man gewinnt und um die Kinder die in Südamerika eine Schulbildung erhalten.

Klaus Skowronek


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